Religiöse Erziehung - Aufgabe und Chance für die Eltern

Mama, woher komme ich? Wo wohnt der liebe Gott? Wo ist der Opa jetzt? (der kürzlich gestorben ist.) Und so weiter, und so weiter .... Kinder können ihren Eltern "ein Loch in den Bauch" fragen.

Das Recht des Kindes auf Religion

Mit ihrem ständigen Hinterfragen und Weiterfragen ergründen sie die Wirklichkeit. Dabei stellen sie auch heikle Fragen; heikel deshalb, weil sie oft ins Zentrum treffen, wo es um die ganz zentralen Themen des Menschseins geht. So erleben Eltern: Das Leben mit einem Kind und für ein Kind zwingt dazu, sich mit Glauben und der Ausübung von Religion auseinander zu setzen. Dies gilt gleichermaßen für gläubige wie nichtgläubige Eltern. Denn auch wenn man für sich selbst ohne religiösen Glauben zurecht kommt, bleibt doch die Frage, was man seinem Kind als Lebenshaltung vermitteln möchte. Fragen nach Tod und Sterben, wo Gott wohnt und was er macht, warum Jasmira an Allah glaubt, gehören zum Aufwachsen des Kindes, zu seiner Welterschließung. Der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer spricht deshalb zurecht vom „Recht des Kindes auf Religion“: „Wer Kinder in ihrer Erkundung von Welt unterstützen will, darf den religiösen Bereich nicht aussparen.“

Fragen, Fragen, Fragen …

Viele Eltern, gläubige wie nichtgläubige, wollen sich dieser Herausforderung stellen, ihr Kind auch in spiritueller Hinsicht zu unterstützen, wollen, dass ihr Kind eine religiöse Erziehung erhält, ihm Werte zur Orientierung angeboten werden. Umfragen und Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass die Eltern zugleich unsicher und ratlos sind und sich überfordert fühlen. In dieser Situation kann es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass zu einer gelingenden Erziehung keine fertigen Antworten gehören. Schweitzer: „Gelungen ist eine Erziehung dann, wenn Kinder lernen, selber und selbständig zu fragen und zu denken. Die beste Begleitung, die wir Kindern geben können, besteht in der Ermutigung, dass ihre Fragen wichtig sind und dass es sich lohnt, über solche Fragen nachzudenken und mit anderen darüber zu sprechen.“ Entsprechend gilt für die religiöse Erziehung, dass auch der Glaube nicht wie ein Paket weitergegeben werden kann. Selbst wenn Eltern alles wüssten, funktionierte es nicht. Die Chance liegt vielmehr darin, dass Eltern sich mit ihrem Kind über religiösen Fragen auseinander setzen und sich dabei mit ihm auf die fragende Seite stellen. Es geht darum, gemeinsam mit dem Kind zu staunen, zu fragen, die Welt zu begreifen, gemeinsam Neues zu entdecken und sich vom Schatz der (christlichen) Tradition anregen zu lassen.

Die Fragen dem Kind zurückzugeben: Kinderphilosophie“

Ein Ansatz, wie dies gehen könnte, beschreibt die so genannte „Kinderphilosophie“. Mit ihrem Fragen nach dem „Warum“ wünschen Kinder unter 10 Jahren meist keine praktisch-technischen Erklärungen eines Phänomens. Ihnen geht es nicht um naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten. Ihre Fragen sind meist Sinnfragen („Warum bzw. wozu regnet es?“ „Warum bzw. wozu ist Regine krank?“ „Warum bzw. wozu ist Opa gestorben?“). Statt mit einer oft schnellen Antwort aufzuwarten, rät die Kinderphilosophie, die Fragen dem Kind zurückzugeben: „Was meinst du denn, weshalb das so ist?“ Dies kann nicht nur erstaunlich kreative Antworten zu Tage bringen, sondern regt zudem das Denken und die Phantasie des Kindes an. Es sucht sich eine „passende“ Antwort, statt die Antwort der Eltern in der Annahme zu übernehmen, dass es die Eltern sicher (besser) wissen. (Erst ab etwa 10 Jahren können sich Kinder von den Eltern abgrenzen und eigene Positionen und Wahrnehmungen den Aussagen ihrer Eltern entgegensetzen.) Um mit ihrem Kind gemeinsam zu suchen, müssen Eltern nur neugierig sein, staunen können und etwas Wissen wollen. Und sie müssen bereit sein, ihre bisherige Meinungen über Gott und die Welt und vor allem auch über sich selbst spontan kritisch zu reflektieren, d.h. bisher Geglaubtes zu hinterfragen, um es - zusammen mit dem Kind - nochmals neu zu überdenken.

„Hebammen-Fragen“

Die Kinderphilosophin Eva Zoller Morf gibt dazu einige Anregungen: Sokrates, der berühmte griechische Philosoph, nannte sein Philosophieren eine „Hebammenkunst“. Durch sein unerbittliches Fragen verstand er es, manche Weisheit zu entdecken und ans Licht der Welt zu bringen. Auf die Eltern übertragen heißt dies: Die Eltern können die Kunst der Kinder übernehmen und mit ihnen in die Welt der ungelösten Fragen eintauchen. „Hebammen-Fragen“ zum Thema Glück sind für Zoller Morf beispielsweise: Wie fühlt sich das Glück an? Was spüre ich dabei? Wo begegnet mir Glück? Was gibt es für unterschiedliche Glücke? Hebammen-Fragen sind offene Fragen und nicht mit Ja und Nein zu beantworten, sondern regen an, genauer wahrzunehmen und zu beschreiben. Ein hervorragender Einstieg für solche „philosophischen Gespräche“ mit Kindern ist das gemeinsame Anschauen von Bilderbüchern oder das Erzählen von Geschichten und Märchen. Hebammen-Fragen am Schluss oder während der Geschichte können auch für die Erwachsenen interessante Horizonte öffnen.

Auf Abwerten verzichten

Es gibt Kinder, die mit solchen Fragen nicht zu locken sind. „Weiß nicht!“, ist die stets monotone Antwort. Hier rät Eva Zoller Morf, auf andere Weise mit den Kindern die Wahrnehmung zu schulen, etwa mit dem Spiel von Handpuppen oder Plüschtieren, denen das Kind die Stimme leihen kann. Eine gute Wahrnehmung der Sinne ist eine wichtige Voraussetzung, um miteinander philosophieren zu können.
Vor allem im Zusammenhang mit Werten, mit Ethik und Moral ist es zudem wichtig, Ansichten zu begründen. Auch Kinder sollten ermutigt werden, ihre Meinungen zu begründen, damit sie sich ihrer Werte bewusst werden. Erwachsene weisen im Gespräch mit ihnen selbstverständlich darauf hin, wenn sie Begründungen nicht standfest empfinden und nennen Gründe, die dagegen sprechen. Aussagen müssen dabei auch bewertet werden, um sie differenzierter wahrnehmen zu können. Hilfreiche Fragen dazu sind: Ist es immer so? Ist es bei allen so? Könnte es auch anders sein? Zoller Morf: „Auf Wertungen kann man nicht verzichten, auf Abwerten kann man verzichten.“

Eltern müssen nicht alles wissen

Durch das Philosophieren mit Kopf, Herz und Hand lernen Kinder, kritisch und kreativ neue Wege zu finden. Die Sinn und Orientierung gebenden Werte und Normen von Religion und Tradition werden dabei weder über Bord geworfen noch einfach „weitergegeben“, sondern als Orientierungswissen aktiviert. Eltern können sich von dem Anspruch befreien, „alles“ wissen zu müssen, was Kinder beschäftigt. Statt halbherzige Antworten zu geben, dürfen sie auch sagen: „Das weiß ich nicht.“ Und sie dürfen sich anregen lassen, bei der religiösen Erziehung auch selbst noch einmal zu wachsen. Denn Kinder stellen Fragen, vor denen Eltern zurückschrecken, weil sie meinen, eben darauf keine Antwort zu wissen, oder weil ihnen in den Fragen überwunden geglaubte Gottesbilder begegnen, an deren Stelle jedoch noch keine weiterentwickelten getreten sind. Wer auf Kinder hören oder mit ihnen gemeinsam religiöse Fragen erschließen kann, wird daher oft erstaunt sein, dass Kinder schon in sehr frühen Alter fähig sind, Glaubensbilder und Metaphern zu produzieren und theologische Einsichten mit elementaren Bildern zu äußern; Kinderglauben ist nicht als defizitäre und unreife Vorstufe zum Glauben zu bewerten, sondern in seinem Vorbildcharakter wahrzunehmen.

Kess-erziehen: Staunen. Fragen. Gott entdecken

Unter anderem auf der Basis der Kinderphilosophie entwickelte die Arbeitsgemeinschaft für Katholische Familienbildung AKF e.V., Bonn, einen Elternkurs, der Eltern in diese „Hebammenkunst“ einführt und sie in den dafür erforderlichen Haltungen unterstützt.

Er besteht aus fünf Einheiten:

1. Die unsichtbare Welt in den Blick nehmen: Es geht darum, das Kind in seiner Suchbewegung - insbesondere auf die unsichtbare Welt bezogen - verstehen zu lernen und erste Antworten der eigenen Lebensgestaltung und Familienkultur zu erkennen.

2. Sich mit dem Kind auf die fragende Seite stellen: Voneinander zu lernen erfordert dialogische Fähigkeiten, u.a. sich für andere Ansichten und Überzeugungen zu öffnen, Respekt zu zeigen, zuhören und verstehen zu wollen, von Herzen zu sprechen.

3. Mit dem Kind reden über Gott und die Welt: Mögliche Anlässe für religiöse Gespräche erkennen und wahrnehmen und dabei Kindern auch eigene Antworten zumuten.

4. Der Spiritualität Raum geben: Spiritualität als Gefühl der Zugehörigkeit und Verbindung mit dem Leben und der Schöpfung als Ganzer und der Verbundenheit mit einem christlichen Gott wahrnehmen, Rituale in ihrer Bedeutung sehen und die Spuren der eigenen Spiritualität entdecken.

5. Sich von der christlichen Tradition anregen lassen: Das Leben im Licht der christlichen Botschaft deuten, Kirche als Glaubensgemeinschaft wahrnehmen und eine eigene Verortung vornehmen können.

Während der Basiskurs „Kess-erziehen“ (www.kess-erziehen.de) Eltern in einer Erziehungshaltung stärkt, auf deren Grundlage sich reife Religiosität entfalten kann, ermutigt „Kess-erziehen II“ somit Eltern explizit dazu, religiöse Themen aufzugreifen, sich mit den Kindern auf die fragende Seite zu stellen und gemeinsam nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu suchen. Die Gefahr, dass Eltern in der religiösen Erziehung etwas falsch machen können, ist weitaus geringer als die Gefahr, dass sie ihrem Kind etwas vorenthalten. Ralf Rogge fasst es so zusammen:

„Die Religion schützt uns davor, etwas oder jemanden ab- solut zu setzen, und die Religion ermöglicht es uns, als freie und liebevolle Menschen zu leben. Deshalb gibt es ein Recht auf Religion. Deshalb haben Kinder ein Recht auf Religion.“

Hubert Heeg

Kess-erziehen: Staunen. Fragen. Gott entdecken.

ermutigt Eltern, religiöse Themen aufzugreifen und sich mit den Kindern auf die Suche nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu machen.

Der Kurs umfasst fünf Einheiten:

  • Die Beziehung mit dem Kind »Kess« gestalten –
    Das positive Lebensgefühl stärken.
  • Sich mit dem Kind auf die fragende Seite stellen –
    Selbstentdeckendes Lernen stützen.
  • Mit dem Kind reden über Gott und die Welt –
    Kindliche Gottesbilder achten.
  • Der Spiritualität Raum geben –
    Sich von Gott anrühren lassen.
  • Das Leben gemeinsam leben, deuten und feiern –
    Sich von christlichen Traditionen anregen lassen.

Der Kurs richtet sich an Eltern von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter. Er knüpft an den Erfahrungen und Stärken der Teilnehmenden an. Er unterstützt Eltern in einer ganzheitlichen Erziehung, indem auch die religiöse Dimension des Lebens mit in den Blick genommen wird. Zu jeder Einheit gehören Informationen über die Entwicklung und die spirituellen Bedürfnisse von Kindern, Übungen und konkrete Anregungen für die Praxis zu Hause.

Informationen über Kursangebote erfahren sie unter:

www.kess-erziehen.de